Buchcover Warum es kein Verbrechen war, Onkel Reginald zu töten

Leseprobe aus "Warum es kein Verbrechen war, Onkel Reginald zu töten" (1994)

Auszug aus der Kurzgeschichte "Brief an William":

Am Samstag also saßen Dudley und ich uns dann in meinem Wohnzimmer gegenüber. Das "Wie geht's?" und "Möchtest du eine Tasse Kaffee?" hatten wir hinter uns, und Dudley zog ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt aus der Tasche und reichte es mir herüber. Ich verbrachte zwei sehr verwirrende Minuten damit, ein Rezept für hausgemachte Marmelade zu studieren, bevor Dudley merkte, dass ich die falsche Seite betrachtete und mich veranlasste, das Blatt umzudrehen. Auf der anderen Seite fand ich eine eingerahmte Anzeige - es muss etwa eine Viertelseite gewesen sein - und sie war, wie Sherlock Holmes sagen würde, höchst einzigartig. Ich schreibe sie für Dich auf, so gut ich sie im Gedächtnis habe:

CHRISTEN-REKRUTIERUNGSZENTRUM FÜR
GROSSBRITANNIEN
HALSTER, SCHOTTLAND.
VOM HEUTIGEN TAGE AN SIND WIR DIE
ALLEINIGEN VERTRETER FÜR ERLÖSUNG ETC. IN
ENGLAND, WALES, SCHOTTLAND UND
NORDIRLAND.
BESUCHER SIND HERZLICH WILLKOMMEN.
TERMINVEREINBARUNG NICHT NOTWENDIG.
ACHTUNG: BISHERIGE ARRANGEMENTS HABEN
MÖGLICHERWEISE KEINE GÜLTIGKEIT MEHR.
WIR BERATEN SIE GERN.

Wie Du siehst, steht keine Telefonnummer dabei, und die Adresse - nun ja, wer weiß schon, wo Halster liegt? Nun, Du wirst lächeln, wenn Du weiterliest, und ich kann es Dir nicht verübeln. Es klingt lächerlich, aber es ist die Wahrheit. Rund um diesen Teil der Seite war eine Art Leuchten zu sehen. Ich nehme Dich nicht auf den Arm, es war wirklich so. Ich weiß noch, wie ich blinzelte und den Kopf schüttelte, um das Leuchten zu verscheuchen, aber es ging nicht weg. Es war auf der Seite, oder vielleicht in der Luft über der Seite oder - wo auch immer. Als ich aufblickte, nickte Dudley und lächelte mir aufgeregt zu. "Du kannst es auch sehen, nicht wahr?" sagte er.
"Das Glänzen, meinst du?"
"Ja", sagte er, beugte sich herüber, nahm mir das Blatt aus der Hand und strich es auf dem Couchtisch zwischen uns glatt. "Nicht jeder sieht es, weißt du - die meisten sehen es nicht. Die Sache ist..."
Du weißt sicher noch, wie viele Sorgen sich Dudley immer gemacht hat. Wir sagten immer, er sehe aus wie ein Bernhardiner, wenn er etwas auf dem Herzen hatte. Nun, genauso sah er jetzt auch aus, nur dass sich gleich dahinter die Begeisterung in sein Gesicht drängte. "Die Sache ist die", fuhr er fort, "dass ich nicht weiß, was es bedeutet, wenn man es sehen kann... ob es bedeutet, dass man... na ja, in Ordnung ist, oder... etwas anderes." Wie habe ich mir gewünscht, Du wärst da, William. Ich war völlig von den Socken.
Leuchtende Zeitungen? Alleinige Vertreter für Erlösung? Ich glaubte schon, die Türen der Irrenanstalt hinter mir zuknallen zu hören, während Dudley mit seiner tiefen Stimme weiter auf mich einredete.
"Ich fahre hinauf. Ich fahre hinauf nach Halster und suche dieses Zentrum auf und frage, ob ich wirklich... na ja, ich bitte um ein paar Ratschläge über... über alles mögliche. a Nun, Du kennst mich ja, William. Es kostet nichts, jemandem nach dem Mund zu reden, und niemand legt Wert auf Ratschläge, wenn sie nicht mit dem übereinstimmen, was man sowieso vorhat; also nickte ich nur und zuckte die Achseln und sagte: "Warum nicht?" und dergleichen. Als ich fertig war, starrte Dudley eine Weile lang das Blatt an, und als er endlich aufblickte, biss er sich auf der Unterlippe herum und sah ein bisschen verlegen aus.
"Weißt du, Ray", sagte er durch die Zähne hindurch, "ich habe keine große Lust, den ganzen Weg allein zu machen, und da wollte ich dich fragen, ob du nicht mitkommen willst."
Rate mal, wer da plötzlich ganz objektiv wurde. "Wie steht es mit den Kosten?" fragte ich ihn. "Ich bin pleite."
"Ich zahle", sagte Dudley.
Ein kostenloser Ausflug nach Schottland. Meine Objektivität ging jetzt ein wenig den Bach hinunter, aber ich hatte das Gefühl, alle Gegenargumente aufmarschieren zu lassen - um Dudleys willen.

Alle Textrechte liegen beim Brendow Verlag. Abbildung hier mit freundlicher Genehmigung.


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