Buchcover Andromedas Briefe

Leseprobe aus "Andromedas Briefe" (1991)

"Adrian Plass, Sacred Diarist, Presents the Horizontal Epistles of Andromeda Veal"

Liebe junge Person, (ich halte es für besser, Deinen Vornamen nicht zu benutzen, da ich vermute, daß er einen okkulten und astrologischen Hintergrund hat. Haben Dein Vater und Deine Mutter etwa in den finsteren Wasserstrudeln der Esoterik rumgeplantscht? Mein angetrauter Gatte Stenneth und ich haben in diesem Bereich einen besonderen Dienst, nicht zuletzt deshalb, weil Stenneth als junger Mensch, unerlöst und noch dem Fleische anhangend, dem Kartentrick seines Großvaters ausgesetzt wurde. Dem Höchsten sei Dank, daß er nunmehr davon losgesagt ist; aber es kann uns allen eine Lehre sein!) Dein Name und Deine Notlage wurden uns von einer Freundin der Anne Plass zur Kenntnis gebracht, mit der Du, wie ich glaube, korrespondierst. Es überrascht mich, daß es Anne versäumt hat, es mir gegenüber selbst zu erwähnen, so daß Stenneth und ich unsere Dienste hatten unmittelbar anbieten können. Aber das ist so typisch für die liebe Anne. So ganz und gar menschlich und so ganz und gar ihrem Manne zugetan, der nach meiner Auffassung nicht geistig zurückgeblieben ist, und ihrem Sohne Gerald, für den wir fortwährend beten, damit zu gegebener Zeit seiner Frivolität und seinem Mangel an Respekt Einhalt geboten werde. Erst letzte Woche nannte er unseren neuen Hilfsgeistlichen, einen dünnen langen Menschen mit wenigen roten Haaren auf dem Kopf, ,,Makkaroni-Pastor Schütter". Zu meinem Leidwesen muß ich berichten, daß die Majorität des Hauskreises diese Bemerkung hochgradig amüsant zu finden schien. Ich betete in der Stille für die Anwesenden, und das Entsetzen meines Gatten Stenneth äußerte sich darin, daß er einen Erstickungsanfall bekam und das Zimmer verlassen mußte. Dennoch verurteile ich Gerald nicht. Ein anderer wird das tun. Nun zu Deinem Unfall. Ich frage mich, meine Liebe, ob es in Deinem Leben nicht irgendeine häßliche Kleinigkeit gibt, die unter das Blut gebracht weiden muß. Ich entsinne mich eines Vorfalles vor wenigen Monaten, als Stenneth vom Dachboden fiel, nachdem er die Leiter hochgeklettert war, um für mich einen gewissen Gegenstand herabzuholen. Er hatte zuvor den Standpunkt vertreten, daß die Leiter in einem derart irreparablen Zustand sei, daß sie seinem Gewicht kaum gewachsen Sein wurde. Ich erklärte mich deshalb bereit, am Fuße der Leiter zu stehen und die Sprossen durch einen Akt des Glaubens vor dem Bruch zu bewahren. Als er auf dem Boden gelandet war, stöhnte und sich das untere Ende des Rückgrats rieb, frug ich auch ihn, ob es in seinem Leben nicht etwa eine winzige nicht bekannte Sunde gibt, auf die er auf diese Weise liebevoll hingewiesen wurde. Augenblicklich ergriff - vor meinen eigenen Augen ! - ein Geist unbeherrschten Zornes von Stenneth Besitz, so daß es fast zu ein er physischen Attacke auf meine Person gekornmen wäre. Er schrie, der einzige Fehler, den er je begangen hatte, sei der gewesen, ,,Ratschlage von hohlköpfigen A... Iöchern anzunehmen, die so geistlich sind wie eine Glühbime" (Ich hielt das für ein wenig hart im Hinblick auf Deinen Onkel Edwin, der, wiewohl er die biblischen Kriterien für das Pastorenamt nicht völlig erfüllt, dennoch versucht, sein Bestes zu geben.) Stenneths Leugnen zum Trotz war ich jedoch nicht überrascht, als ich - versteckt unter dem Teil der ehelichen Matratze, der ihm zugeteilt ist - ein Exemplar eines gewissen Magazins fand, das sich mit der Konstruktion von Sperrholzfliegern befaßt, einem Gebiet, dem Stenneth einst im Fleische verfallen war und dem er abgeschworen hatte, nachdem mir offenbar geworden war, daß die Anzahl von Buchstaben in ,,Sperrholz" mit dem Alter multipliziert, in dem der Vater meiner heiligmäßigen Kusine zweiten Grades Marion starb, nämlich 74, das Resultat 666 ergibt, die Zahl des ,,Tiers aus dem Abgrund"! Beim Entdecken dieser Publikation war mir schlagartig klar, daß Stenneth heimlich lüsterne Blicke auf ungebührliche Konstruktionszeichnungen geheftet hatte und daß sein Fall vom Dachboden ein Ruf zur Buße war. Also, junge Person, gibt es einen kleinen Knoten in der Schnur Deines Lebens? Wenn dem so ist, mußt Du ihn lösen und dafür Sorge tragen, daß Dein Lebensfaden künftig unverknotet bleibt. Ich habe Stenneth gesagt, daß es auch seine Pflicht ist, Dir zu schreiben, und es wird Dich begeistern zu hören, daß ich womöglich schon bald in der Lage sein werde, Dich zu besuchen. Wäre das nicht wundervoll? Mit freundlichen Grüßen Victoria Flushpool P.S. Die Plassens meinen es wirklich gut, meine Liebe. Alle Textrechte liegen beim Brendow Verlag. Abbildung hier mit freundlicher Genehmigung.


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